Vom Hauptbahnhof durch das Pallaswiesen-Mornewegviertel

  • Routenlänge: 3,3 km  
  • Dauer: ca. 45 Minuten 
  • Beschaffenheit: Flach, geteert 
  • Highlights: Brücke Bismarckstraße, Wasserturm, Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt, Evonik Industries AG, Schenck Technologie und Industrie Park, Kaufhaus der Gelegenheiten, Kunstdepot, Weststadtcafé 

Wer am Darmstädter Hauptbahnhof aus dem Zug steigt, verlässt das Gelände eher selten Richtung Westen – denn das angrenzende Europaviertel wird größtenteils gewerblich genutzt. Doch für Liebhaberinnen und Liebhaber alternativer Stadttouren gibt es ab hier einiges zu sehen. Dabei stehen weniger die schönen Künste oder städtischen Grünflächen im Mittelpunkt, sondern Industriekultur und -geschichte. Und nebenbei bieten die Straßen einige unerwartete Highlights.

Rechts des Europaplatzes (Ausgang Hauptbahnhof West) beginnt die Tour auf einer unscheinbaren Straße, die auf der Kreuzung Dornheimer Weg/Bismarckstraße endet. Hier spannt sich eine Straßenbrücke über die Gleise – und ermöglicht einen einzigartigen Blick auf den Hauptbahnhof und die ein- und ausfahrenden Züge. Am Ende der Brücke befindet sich der Wasserturm Darmstadt, der mit Jugendstil Elementen dem Hauptbahnhof angeglichen wurde. 1910–1912 wurde er nach Plänen des Architekten Friedrich Mettegang erbaut und als Wasserversorgung des Bahnhofs genutzt. Der heutige Besitzer, der Musiker, Komponist und Architekt Albrecht Pfohl rettete das markante Bauwerke vor dem Abriss, in dem er es der Bahn 1986 abkaufte. Im Jahr 2003 wurde der Turm mit Unterstützung von Land, Stadt und Eigentümer saniert und dient heute als Künstleratelier und Ort für besondere Veranstaltungen.

Das Gewerbegebiet Nordwest ist das größte der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Auf insgesamt 165 Hektar reihen sich hier internationale Größen aneinander – und bilden einen faszinierenden Einblick in Darmstadts Industrie(kultur). Alleine die beiden Global Player Evonik Industries AG und Carl Schenck Ag nehmen eine Fläche von 26 Hektar ein: Hier befinden sich Büro- und Konferenzflächen, Produktionshallen, Labore und Lagerflächen. Meist durch hohe Mauern sichtgeschützt, bieten die Gelände aber auch Blick auf alte Fabrikhallen und moderne Empfangs-Gebäude, dieser bemerkenswerte Kontrast macht die Geschichte und Entwicklung noch heute nachvollziehbar.

Evonik Industries ist eines der weltweit führenden Unternehmen der Spezialchemie und produziert in Darmstadt heute zum Beispiel einen Hartschaumstoff, der für mehr Leichtigkeit in Flugzeugen, Hubschrauber-Rotorblättern, Autos und Sportartikeln sorgt.
Die historischen Wurzeln reichen bis in die Anfänge der deutschen Industriegesellschaft zurück: 1909 legte Dr. Otto Röhm den Grundstein für den Standort Darmstadt und entwickelt hier unter anderem PLEXIGLAS®.

Nach vielen Eindrücken der Industriekultur und -geschichte führt die Route nun zu einem sozialen Highlight des städtischen Einkaufs: dem KaGel. Das Second-Hand Kaufhaus der Gelegenheiten wurde 2006 als Projekt vom Verein „Zündholz – Hilfe zur Selbsthilfe e.V.“ gegründet und befindet sich seit 2021 im Besitz der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Es legt Fokus auf bewusstem Konsum und nachhaltige Lebensweise und beschäftigt als gemeinnütziges und integratives Unternehmen Menschen mit verschiedensten Lebensgeschichten. Unter dem Motto „Reuse, Repair und Rethink“ finden in den Räumlichkeiten auch Repaircafés und nachhaltige Workshops statt, außerdem ist hier der Sitz des „Heinerleih“, ein ehrenamtlich betriebener Leihladen für Gebrauchsgegenstände.

Und weiter geht es mit alten Schätzen – aber im neuen Gewand: Das Kunstdepot Darmstadt zeichnet sich durch Innovation, Nachhaltigkeit und Architektur aus. Hier werden nicht nur die Kunstschätze des Instituts Mathildenhöhe, Stadtarchivs Darmstadt und des internationalen Musikinstituts fachgerecht bei konstanten 20 Grad Celsius gelagert, das Gebäude leistet auch einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz und zur klimaneutralen Energiegewinnung. Dach und Hof sind begrünt, fast ein kleiner Park windet sich um das Gebäude herum, und im Hof befinden sich Ladesäulen für E-Fahrzeuge. Als Passivhaus erzeugt es seinen Energiebedarf (und mehr!) durch eine Photovoltaikanlage selbst. Und auf der Nordseite des Gebäudes wurden Sommerquartiere für Fledermäuse und Kunsthöhlen für Mauersegler und Sperlinge angelegt. Hier wird der neue Standard des Bauens sichtbar: Ein Gebäude soll nicht länger nur seinen Zweck erfüllen, sondern immer auch einen Mehrwert für Mensch und Tier schaffen.